Eberhard Waechter als Opernchef

posthume Bilanz

2. April 1992

Nicht wieder Allerweltstheater

In Österreich werde, so bestätigte anläßlich der Jubiläumsfeiern der Wiener Philharmoniker auch Franz Vranitzky, künstlerischen Entscheidungen oft mehr Bedeutung beigemessen als dem politischen Schicksal eines Bundeskanzlers. Nur wenige Stunden später galt es plötzlich, eine solche Entscheidung, die heikelste vielleicht, die das Kulturleben der Republik kennt, zu treffen: Eberhard Waechter, Symbolfigur der künstlerischen Erneuerung der Wiener Staatsoper, war unerwartet und nur wenige Monate nach seinem Amtsantritt als Opernchef gestorben. Rasches Handeln war gefordert.

Gottlob waren sich sämtliche politischen Lager ausnahmsweise einig: Was Waechter begonnen hatte, muß in seinem Sinne weitergeführt werden. Man betraut nun folgerichtig Waechters Partner, Generalsekretär Ioan Holender, der wesentlich an der strukturellen Erneuerung mitgearbeitet hat, mit der Direktion in beiden Häusern, in Volks- und Staatsoper.

Dies ist beruhigend. Schließlich wäre es für ideologische Gegner, die Waechter im Moment seines Erscheinens auf den Plan gerufen hatte, ein Leichtes gewesen, Zwietracht zu säen und aufzuzeigen, daß auch in den ersten Monaten der neuen Ära Vorstellungen von äußerst bescheidener Qualität zu verzeichnen waren.

Nur: Die gab es im Haus am Ring immer. Auch in längst verklärten, »legendären« Zeiten. Für Waechter ging es, daran muß noch einmal angelegentlich erinnert werden, um die Wiedergewinnung des unverwechselbaren Ranges der Wiener Oper. Und der war, Hand aufs Herz, in den letzten Jahren wirklich nicht mehr gegeben - war doch eine unreflektierte Politik der Staranbetung unter dem Motto einer falsch verstandenen »Internationalität« ins Kraut geschossen.

Denn Internationalität, das hieß nicht: Namen wie Luciano Pavarotti, Placido Domingo oder Jos'e Carreras auf den Besetzungszetteln nennen zu können. Stars wie diese waren der Wiener Oper stets treu, und niemand, auch Waechter nicht, dachte je daran, auf sie zu verzichten. Internationalität, das hieß vielmehr: Auch einen Gutteil der mittelmäßigen Halbprominenz zu viel zu hohen Gagen einzukaufen, weil sie von findigen Managern an alle sogenannten »großen Häuser« vermittelt wurden. Weil man meinte, auch ohne sie nicht das Auslangen zu finden, solange man etwas auf sich hielt.

Dabei war alsbald das Maß verloren. Selbst mittlere und kleine Partien wurden mit solchen »Internationalen« besetzt, obwohl diese ihren Aufgaben kein Jota besser gewachsen waren als Kräfte, die in Wien für Monatsgagen spazieren gingen, oder als junge Sänger, denen auf diese Weise eine gediegene Entwicklung zu garantieren gewesen wäre.

Der lächerlichen Tendenz, die Staatsoper zu einer Raststation für den weltweiten Sängertourismus verkommen zu lassen, schob Waechter den Riegel vor. Er schuf sich ein neues, von vielversprechenden jungen Kräften getragenes Ensemble und war damit, Besucher- und Verkaufszahlen lehren das, erfolgreich.

Viele der jungen Sänger entwickelten sich rasch zu Publikumslieblingen. Man war wieder gespannt auf eine neue Traviata oder Salome, weil es nicht irgendeine, als »gute zweite Besetzung« um den Erdball reisende, also im wahrsten Sinne des Wortes eine »Allerweltslösung« war, sondern ein liebgewordenes Mitglied des neuen, jungen Ensembles.

Nur auf solchen Strukturen aufbauend, vermag ein Opernhaus auf Dauer wieder selbst Impulse zu geben - statt konzeptlos einfach zu wiederholen, was anderswo auch geboten wird. Dieser Idee, und der Pflege eines Repertoires, bei dem auch das wunderbarste aller Orchester seine Qualitäten wieder voll zur Entfaltung bringen konnte, galt Eberhard Waechters und Ioan Holenders Kurs.

Er wird nun zumindest bis 1997 beibehalten. Das ist gut so, will man nicht dem Repertoiretheater, als dessen Hochburg die Staatsoper jahrzehntelang gegolten hat, endgültig den Todesstoß versetzen, will Wien wieder werden, was es so lange war: der Nabel der Opernwelt.


↑DA CAPO